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Don’t think about it” (Denk nicht darüber nach)

Fotografien von Andreas Letzel

Oldenburg. Das Sozialgericht Oldenburg und die AG Kunst in der Oldenburgischen Landschaft zeigen im Elisabeth-Anna-Palais Fotografien von Andreas Letzel. Der Künstler, der in Oldenburg lebt, hat im Schauraum des Stadtmuseums ausgestellt und sich an Veranstaltungen in der Staustraße beteiligt.

Das Bemerkenswerte an seinen Fotografien ist die Spannung zwischen Titel und Motiv. Schon der Ausstellungstitel weckt widersprüchliche Gedanken:”Don’t think about it” (Denk nicht darüber nach) ist eine Aufforderung, die das Gegenteil bewirkt. Letzel hat Alltagsdinge und Situationen fotografiert und sie isoliert, so dass ihre Vereinzelung ihnen Bedeutung verschafft. Er benennt sie mit einem trockenen Begriff wie “Finanzamt” oder “Stillliegen”. Die Arbeiten und ihr Titel unterlaufen so die konventionelle Erfahrung und öffnen Beziehungen ins Satirische und Absurde.

Die Ausstellung wird am 24. Januar um 17 Uhr eröffnet und dauert bis zum 12 April 2023. Sie ist von Montag bis Donnerstag 9- 15 Uhr, freitags 9 bis 12 Uhr zu sehen.

Andreas Letzels Arbeiten sind mir in seiner Ausstellung im Stadtmuseum aufgefallen, denn in ihnen steckten Überraschungen, die weit über das Abbildhafte, das der Fotografie eigen ist, hinausgingen und sich nicht so leicht in Worte fassen ließen. Die Überraschungen entstanden häufig durch die Kombination von Titel und Bild. Sie sollten näher untersucht werden. Im Herbst letzten Jahres in der Staustraße wurde dann diese Ausstellung verabredet.

Andreas Letzel studierte in der ersten Hälfte der neunziger Jahre Medienkunst an der Akademie Minerva in Groningen, da hatte er schon in Apen und Oldenburg ausgestellt.

Diese Ausstellung hat den Titel “Don’t think about it”. Der Titel zeigt einen der Kniffe, mit denen der Künstler Aufmerksamkeit weckt: Zum Gegenteil anzuregen, was eigentlich üblich ist: Denn natürlich wird allgemein behauptet, Kunst rege zum Nachdenken an, und die Aufforderung zum Gegenteil – nicht daran denken - macht stutzig. Wir müssen also bei der Betrachtung der Fotografien auf Überraschungen oder auf Akzentuierungen und Inhalte gefasst sein und uns öffnen für etwas, das nicht alltäglich, das ungewöhnlich ist.

Das Erste, das alle Arbeiten gemeinsam haben, ist der Verzicht auf den Umraum, auf die gewohnte Umgebung eines Motivs. Ob Aktenhaufen oder Einmachglas, in keiner Wohnung, in keinem Keller oder Büro liegen oder stehen die fotografierten Motive so isoliert ohne Zimmerwand und ähnlichen Dingen rundherum wie in den Arbeiten von Andreas Letzel. Durch diese ganz bewusst isolierte Vereinzelung bekommen die Dinge Bedeutung, eine Wertsteigerung und zuweilen eine Doppeldeutigkeit.

Zu den wenigen Arbeiten, in denen der Mensch als Figur im Mittelpunkt steht, gehört die Reihe “Stillliegen”, die an Motive aus Film und Fernsehen erinnert, diese aber nicht meint: die Aufbahrung eines Körpers. Lassen wir die vier Fotografien auf uns wirken, entdecken wir einerseits, dass immer dieselbe Person an genau derselben Stelle liegt; andererseits, dass die einzige Veränderung dort zu sehen ist, wo sie den Betrachtenden am nächsten ist – an den Füßen.

Nach den Worten des Künstlers ging es ihm nicht um ein Todesthema, sondern um etwas viel Simpleres, um die Füße und ihre Bekleidung, um Strümpfe und Schuhe. Daraus könne eine Story entwickelt werden – vier unterschiedliche Situationen – kein Geld für Strümpfe, also barfuß, dann alte Strümpfe, dann Latschen, und schließlich Schuhe. Das ist eine Geschichte über vier Armut-Zustände.

Eine andere Abfolge-Reihe hat Andreas Letzel “Historische Villen Oldenburg” genannt. Sie ist ein Beitrag zu einem Wettbewerb, den das Stadtmuseum ausgeschrieben hatte, wobei den Fotografierenden freigestellt war, wie sie sich dem Thema nähern: Andreas Letzel wählte eine Wand in einem Museumsraum, stellte eine Person davor und veränderte in zwei weiteren Aufnahmen die Wand – zuerst die reine Fläche, was zur Frage führt, warum starrt jemand darauf. Dann die Wand mit Rahmen und drittens die Rahmen mit einer Fotografie, wobei eine Fotografie offenbar Opfer von Klima-Aktivisten wurde. Diese Fotografie dürfte zu den ersten künstlerischen Reaktionen auf die Museumsattacken der “Letzten Generation” zählen. Die Person hat sich nicht bewegt, was absurd ist, die Wand hat sich verändert. Villen erleben das.

Zu den älteren Arbeiten gehören die Glas-Konserven, Einmachgläser mit Dingen, die keine Hausfrau je in Gläsern aufbewahren möchte: wie Patronen oder Stacheldraht, gleichsam Erinnerungsstücke einer längst vergangenen Zeit, so war das 2019; inzwischen sind diese Dinge wieder mit Bedeutung geladen. Wir wissen nicht, welcher Anregung bei diesen Dingen Andreas Letzel gefolgt ist. Folglich lösen sie bei Betrachtung Gedanken aus, gerade weil sie in den Konservengläsern auf völlig ungewöhnliche Weise hervorgehoben werden. Nicht daran denken – das Gegenteil ist der Fall. Eine absurde Provokation, die in der Gegenwart eine andere Inhaltlichkeit hat als vor vier Jahren, als Stacheldraht oder Patronen in die Gläser gesteckt wurden. Und mehr noch: Andreas Letzel treibt sein satirisches Spiel mit dem Erinnerungskult, wenn er diese unwichtigen Einzelstücke konserviert.

Aber auch Anderes wurde auf diese Weise konserviert – “die Zeit”, dafür schwebt eine Uhr im Glas. Nur ist die Uhr nicht die Zeit, sondern nur ihr Anzeiger; tatsächlich kann die Zeit nicht konserviert werden, sie vergeht. Anders die Uhr. Die bleibt irgendwann stehen, was bedeutet, dass sie ihren Dienst aufgibt.

Oder Agfa, ein Film, das Material des Fotografen, an das er sich gern erinnert, genauso wie an TDK, an die Kassette, in der einst – so lange ist das noch nicht her – Erinnerungen aufbewahrt wurden. Das Bemerkenswerte an diesen beiden Materialien ist doch, dass sie nur eine zeitlich eng begrenzte Funktion haben – der Agfa-Film bis zur Entwicklung, das Magazin nur während des Abspielens, das allerdings wiederholt werden kann. Beide so zu konservieren, wie Andreas Letzel es ironisch vorführt, bedeutet, seine Funktionen zu zerstören, es lediglich optisch zu bewahren. Auch hier wird die Absurdität herausgestellt, auch wenn die Fotografie ein rätselhaftes, aber interessantes Bild ergeben hat.

Diese Deutung lässt sich auch auf die im vorigen Jahr entstandenen Arbeiten wie “Schreibmaschine”, “Gehaltsabrechungen”, “Briefe vom Finanzamt” oder “Waschlappen” übertragen. Gehen wir davon aus, dass die Fotografie tatsächlich das zeigt, was der Titel besagt, so offeriert sie einen Ausschnitt aus Vorgängen alltäglicher Prozesse, die sowohl handlungsmäßig wie gedanklich einen großen Raum im menschlichen Leben einnehmen können, von denen dann nur einen Aktendeckel voll Papier übrig bleibt.

Die Ironie, die in solchen Abbildungen vom Künstler angedeutet wird, findet mit dem Stempel “Ausgemustert” einen Höhepunkt. Man mag kaum glauben, dass dieser Stempel echt ist; wir wissen nicht, worauf er zu beziehen ist. Aber er macht Eindruck.

Andreas Letzel hat mehrfach gängige Begriffe als Titel verwendet und damit Pointen geschaffen. Das täglich gebrauchte Wort “Butterbrot” wird Bild, indem eine Scheibe Brot mit einem halben Pfund Butter belegt wird; das “belegte Brot” ist mit einer Quittung aus Papier belegt. Der klassische Wortsinn bleibt gewahrt, der Sinn ins Absurde gewendet. Am deutlichsten wird das bei der “Deutschen Bank”. Jeder wird, wenn er die Fügung hört, an das Geldinstitut denken und nicht an eine Parkbank, deren Rückenlehne mit den nationalen Farben angestrichen ist, was auch als eine Wendung bis in die Rassismus-Debatte angesehen werden kann. Ähnlich das “Ver-fassungsgericht”. Das Bild muss nicht weiter erklärt werden. Viel Vergnügen.

Jürgen Weichardt

Galleriebild   Bildrechte: Andreas Letzel
Galleriebild   Bildrechte: Andreas Letzel
Galleriebild   Bildrechte: Andreas Letzel
Galleriebild   Bildrechte: Andreas Letzel
Galleriebild   Bildrechte: Andreas Letzel
Galleriebild   Bildrechte: Andreas Letzel
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