Geschichte der Sozialgerichtsbarkeit
Die Geschichte der Sozialgerichtsbarkeit
Die Sozialgerichtsbarkeit ist eine „junge“ Gerichtsbarkeit. Erst durch die Verabschiedung des
Sozialgerichtsgesetzes (SGG) vom 3.9.1953 wurde in dessen § 1 geregelt, dass die Sozialgerichtsbarkeit
durch unabhängige, von den Verwaltungsbehörden getrennte besondere Verwaltungsgerichte
ausgeübt wird. Einen entsprechenden Verfassungsauftrag zur Gründung einer Sozialgerichtsbarkeit
hatte der Parlamentarische Rat in Art. 95 Abs. 1 Grundgesetz festgeschrieben. Viele Rechtsgebiete,
für die die Sozialgerichtsbarkeit ab 1.1.1954 zuständig wurde, haben ihre Wurzeln in der Bismarckschen
Sozialgesetzgebung, die auf Grund der Kaiserlichen Botschaft vom 17.11.1881 erlassen wurde.
Im Bereich der 1883 eingeführten Krankenversicherung war noch der Klageweg zu den ordentlichen
Gerichten eröffnet, während im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung und der
Invaliditätsversicherung Schiedsgerichte eingerichtet wurden, die für Berufungen von Versicherten
gegen Entscheidungen der zuständigen Verwaltungsbehörden zuständig waren. Diese Schiedsgerichte
können als Vorläufer der Sozialgerichtsbarkeit insofern angesehen werden, als sie neben dem
Vorsitzenden (einem Landesbeamten) mit zwei gewählten Vertretern aus Vertretungsorganen
der Versicherungsträger besetzt waren. Entsprechend der paritätischen Finanzierung der
Sozialversicherung durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber entsandten auch diese Gruppen jeweils
einen Vertreter in die Schiedsgerichte. Die Reichsversicherungsordnung (RVO) vom 19.07.1911
regelte nicht nur die Invalidenversicherung, die Krankenversicherung und die Unfallversicherung
neu, sondern schaffte auch die Schiedsgerichte ab. An ihre Stelle traten die Versicherungs-
und Oberversicherungsämter, die einerseits Verwaltungsbehörde waren. Andererseits waren
dort aber auch Spruch- und Beschlussausschüsse eingerichtet, die über Rechtsmittel gegen
Entscheidungen der Versicherungsträger zu entscheiden hatten. Besetzt waren diese wie die
Schiedsgerichte mit einem beamteten Mitglied und je einem Beisitzer aus dem Bereich der
Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Eine ähnliche Regelung gab es später für den Bereich der
Kriegsopferversorgung mit den Versorgungsgerichten, die den Oberversicherungsämtern
angegliedert wurden. Im Bereich der Arbeitslosenversicherung gab es keinen vergleichbaren
Rechtsweg. Mit dem im Grundgesetz festgelegten Grundsatz der Gewaltenteilung war die
Rechtsprechung durch die Versicherungsämter und Oberversicherungsämter
nicht vereinbar, weil diese sowohl Aufgaben der Exekutive (Verwaltung) als auch der
Judikative (Rechtsprechung) erfüllten. Um dem Grundsatz der Gewaltenteilung Genüge zu tun,
war die Übertragung der Rechtssprechung auf von der Verwaltung unabhängige Gerichte,
die Sozialgerichte, erforderlich. Die zum 01.01.1954 gegründeten Sozialgerichte ähneln in ihrer
Besetzung den Oberversicherungsämtern insofern, als auch sie mit ehrenamtlichen Richtern aus
dem Kreis besonders sachkundiger Personen besetzt sind. Diese üben gemeinsam mit den
Berufsrichtern die Rechtsprechung der Sozialgerichte mit gleichen Rechten und Pflichten aus.
Dabei sind die Spruchkörper der Sozialgerichte mit 1 Berufsrichter und 2 ehrenamtlichen, die
der Landessozialgerichte und des Bundessozialgerichtes mit 3 Berufsrichtern und 2 ehrenamtlichen
Richtern besetzt. Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten ist eröffnet in den in § 51 SGG genannten
Streitigkeiten. Diese sind auf dieser Seite unter dem Stichwort „Rechtsgebiete“ dargestellt.
In Niedersachsen wurden an den Standorten der früheren Oberversicherungsämter in Aurich,
Oldenburg, Osnabrück, Stade, Lüneburg, Braunschweig, Hannover und Hildesheim Sozialgerichte
gegründet. Das Landessozialgericht wurde nach dem niedersächsischen Ausführungsgesetz
zum SGG in Celle angesiedelt. Um die Standortfrage gab es im Gesetzgebungsverfahren erheblichen
Streit. In der zweiten Lesung im Landtag fand sich eine Mehrheit für den Standort Oldenburg und
es wurde gegen das konkurrierende Hannover votiert. Erst danach meldete Celle sein Interesse
an und war in der abschließenden Sitzung erfolgreich. Im Jahr 2002 wurde durch Staatsvertrag
zwischen den Ländern Niedersachsen und Bremen für beide Länder ein gemeinsames
Landessozialgericht gegründet. Dieses hat seinen Sitz weiter in Celle mit einer Zweigstelle in
Bremen. Im Flächenland Niedersachsen haben Rechtssuchende insbesondere aus dem
Nordwesten des Landes jetzt erheblich kürzere Wege zu den Sitzungen beim Landessozialgericht
zurückzulegen. Eine bedeutende Veränderung in der Sozialgerichtsbarkeit war zum 01.01.2005
die Verlagerung der Zuständigkeit für Klagen in den Bereichen Sozialhilfe und
Asylbewerberleistungsgesetz von den Verwaltungsgerichten auf die Sozialgerichte sowie die
Regelung der Grundsicherung für Arbeitssuchende im 2. Buch des Sozialgesetzbuches und
die Eröffnung des Rechtsweges zu den Sozialgerichten für entsprechende Verfahren. Diese
führte in der Sozialgerichtsbarkeit in Niedersachsen zu einer Verdoppelung der Verfahren innerhalb
weniger Jahre.
Literatur:
40 Jahre Sozialgerichtsbarkeit in Niedersachsen, Hrsg. Niedersächsisches Justizministerium
Hermann Stöver , Direktor des Sozialgerichts a.D., Die Entwicklung der Sozialgerichtsbarkeit
in Niedersachsen, in Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 1986, Band 58,
HRSG. Historische Kommission für Niedersachsen und Bremen