Eine wirklich schöne Ausstellung!
Ist das nicht eine schöne Ausstellung?
Ich gebrauche das Wort “schön” bewusst, obwohl es heute ganz aus der Kunst-Diskussion verschwunden ist, während es in der Renaissance oder später, selbst noch während der Romantik im 19. Jahrhundert gebräuchlich war. Und indem Petra Jaschinski im Stil früher Kunstepochen malt, lässt sich dieses Wort auch anwenden.
Sie malt in Öl – das ist eigentlich nichts Besonderes, aber sie malt äußerst dünn und transparent, so dass die Struktur der Leinwand oder Pappe sichtbar bleibt, und sie malt Inhalte, wie sie einst u.a. die Niederländer gemalt haben. Diese – voran Jan van Eyck – waren es, die die Ölmalerei im 15. Jahrhundert gegen die Temperamalerei der Italiener durchsetzten. Erst nach 1950 löste die Acrylmalerei den Gebrauch von Ölfarben häufig ab.
Nun kommen noch Besonderheiten dieser Ausstellung hinzu: Während Sie bei einem Besuch in einem Museum mit Kunst des 16. und 17. Jahrhunderts meist von einem Künstler nur ein, zwei Bilder sehen, stehen Sie hier in einem Raum mit 15 und mehr Gemälden einer Künstlerin, die sich in die Malerei des 16. bis 19. Jahrhunderts vertieft hat. Und da stoßen wir noch auf eine weitere bemerkenswerte Beobachtung: Unseres Wissens haben noch nie Künstlerinnen so gemalt wie Petra Jaschinski. Das weckt die Frage nach der Rolle der Künstlerin im 16. Jahrhundert. Das Internet antwortet auf die Frage nach solchen Künstlerinnen mit gerade zwei Namen: Sofonisba Anguissola (1532 – 1625) und Artemsisia Gentileschi (1593-1653). Sicher hat es mehr gegeben – viele sind vergessen. Sofonisba Anguissola lebte in Cremona, stammte aus dem Adel und wurde von Michelangelo gefördert. Sie malte Portraits. Die andere Künstlerin, Artemsisia Gentileschi war die Tochter von Orazio Gentileschi, einem berühmten Maler jener Zeit in Rom, lebte später in Florenz und hatte wegen entsprechender Begabung Zugang zur Kunstakademie. Sie malte gleichfalls Portraits und figurative Szenen. Von Landschaften ist nichts bekannt.
Die Position, die Petra Jaschinskis Malerei also einnimmt, ist überraschend, aber auch zweispältig. Als eine zeitgenössische Künstlerin malt sie Bilder in der Ölfarben-Technik des 16. bis 19. Jahrhunderts. Sie lehnt sich ganz bewusst an die alten Niederländer an, die mit flachen Landschaften und großem Himmel den Blick über Küste und Meer geformt hatten. Es gibt aber auch Bilder, die nicht an der Küste spielen, sondern im vermutlich griechischen Gebirge – die beiden mythologischen Szenen gehören dazu und das Bild mit der Figur auf einem Baumstumpf, die den Blick über Berge und Täler schweifen lässt. Dieses Bild nimmt mit der Gestalt, die dem Publikum den Rücken zukehrt – oder anders gesagt, die den Blick der Betrachtenden aufnimmt und weiterleitet – ein Thema der Romantik auf, denken Sie nur an Caspar David Friedrich. (“Der Wanderer über dem Nebelmeer” und “Mondaufgang am Meer”, 1821.) Aber Petra Jaschinski kopiert nicht, sondern sucht und geht ihren eigenen Weg.
Ich komme noch mal auf den Anfang, auf das Wort “Schönheit” zurück – woran ließe sich dieser Wert in der Malerei von Petra Jaschinski festmachen? Bei der Betrachtung der Ausstellung fallen kompositionelle Elemente oder Eigenheiten auf, die in mehreren Bildern anzutreffen sind: Beispielsweise die Ordnung der Wolken: Einerseits können sie scheinbar vorüberziehen – das wäre der Normalfall. Dabei können sie ein bestimmtes Wetter andeuten, das gerade gewesen ist oder heraufzieht. Oder aber die Wolken ergeben oder formieren sich zu einem Zeichen, etwa zu einem Rhombus, der in der Bildmitte den Blick auf die Weite oder Tiefe des Himmels freigibt. Wiederholt wird diesem Wolkenloch dann eine kleinere Wolke beigegeben, die das Zentrum markiert; sie füllt es nicht, aber sie sitzt im Zentrum und macht dieses noch deutlicher.
Unterstützt wird dieser Umgang mit Wolken von ihrer Farbgebung und dem Licht, das hinter den Wolken liegt, aber über sie hinaus strahlt. Gerade die feinen Abstufungen der Farben, die von Sonne oder Mond bestimmt werden und die eine große Distanz zu den dunklen Wolken halten, wecken die Empfindung der Schönheit, auch ganz gelöst von jeder inhaltlichen Bedeutung.
Ein anderes Kapitel zum Thema Komposition ist in den Landschaften am unteren Rand der Bilder zu sehen. Beispiel Einladungsbild: Hier ist es zuerst die Ausgewogenheit zwischen den beiden äußeren Ecken, sichtbar durch die symmetrische Platzierung zweier Bäume. Zugleich dienen diese, wie das Bild der Einladung andeutet, der Verlagerung oder Aufhebung der Symmetrie, unterstützt von der leicht diagonal angelegten Perspektive, unterstrichen von dem neben die Mittelachse gesetzten Tiger und der Reflexion am Horizont. So entstehen Spannungen in den Bildern und Spannungen sind Elemente der Schönheit. In anderen Bildern sind es einsame Baumreste, die den Blick auf sich ziehen und entsprechende Empfindungen der Verlorenheit stimulieren.
Auch ihre Bildnisse, zuweilen auch Portraits, lassen sich auf Bildformen früherer Jahrhunderte zurückführen: Beispielsweise die Positionierung eines Kopfes vor eine abstrakte Fläche, nicht vor einer irgendwie strukturierten Wand oder vor einem Raum, wie das später üblich wurde. Zudem ist dann das Gesicht weniger stark ausgeprägt, fast wie hinter einem Schleier. Solche Kompositionen erinnern an altrömische Werke.
Aber nicht alle Bildnisse wecken gleiche historische Assoziationen; einige lassen erkennen, dass Petra Jaschinski auch zeitgenössische Portraits malt. Manche Bildnisse zeigen Gesichter, die ausgesprochen gegenwartsnahe erscheinen und in ihrer modernen Skepsis wie im Verhältnis von Gesicht und Frisur aus der Nachbarschaft stammen könnten. Diese Kunst des Portraitierens war in der Vergangenheit die wesentliche Ursache des Erfolgs der wenigen Künstlerinnen. Dank ihrer Portraits wurden sie berühmt wie Angelika Kauffmann und im bescheideneren Rahmen auch die Oldenburgerin Marie Stein-Ranke.
Eine letzte Gruppe bilden die beiden Werke mit mythologischen Geschehnissen, wie sie in der Art der Ovid-Tradition wiederholt bis ins 19. Jahrhundert gemalt, vor allem aber gedruckt worden sind. Hier wird die von Petra Jaschinski erprobte historische Technik durch den Inhalt der Bilder an Spätrenaissance oder Barock gebunden.
Ihre Malerei scheint unzeitgemäß zu sein, bezogen auf die Kunst der Gegenwart, die allerdings aktuell stil- und richtungslos erscheint; die Künstlerin nimmt offenbar nicht daran teil. Aber diese Behauptung ist fragwürdig. Wir können seit einiger Zeit einen Wandel in der zeitgenössischen Kunst-Auffassung feststellen: Den Künstlerinnen und Künstlern geht es häufig nicht mehr so sehr – oder vielleicht überhaupt nicht mehr - um transzendente oder allgemein gesellschaftliche Aussagen. Auch politische Inhalte verlieren an Bedeutung. Stattdessen rückt die Frage des Machens und des Umgangs mit den Materialien für das jeweilige Kunstwerk in den Vordergrund.
Für Petra Jaschinski sind die Ölfarben und ihr diffiziler dünner Auftrag auf eine Leinwand die Mittel, die sie erproben wollte. Und weil es zunächst keine Messlatte für eine qualitative Bewertung gegeben hatte, wurde die frühbarocke Malerei – aber auch die Motivik bis einschließlich der Romantik vor 200 Jahren – herangezogen. Und das Erstaunliche: Indem sie sich auf die Landschafts- und Himmelmotivik konzentrierte, blieb ihre Arbeit konkurrenzlos.
Jürgen Weichardt
Hier der Link zur Homepage der Künstlerin: https://petra-jaschinski.blogspot.com/