Europäische Künstlerin mit japanischem Pinsel?
Zur Malerei von Ingelberga Scheffel
Das Interesse an der Bild-Kultur Ostasiens hat seit dem 19. Jahrhundert nicht abgenommen. Aufenthalte in China oder Japan bereichern auch heute Erfahrung und Gemüt.
Ingelberga Scheffel hatte Kunst und Pädagogik in Hamburg bei René Acht, Francis Bott und Willem Grimm studiert und sich an Aktionen wie der “Unendlichen Linie” von Friedensreich Hundertwasser und Bazon Brock beteiligt. Danach wurde sie Kunsterzieherin zunächst in Westerstede, dann in Sindelfingen. 1996 kehrte sie nach Oldenburg zurück und begann ein Studium der Transpersonalen Psychologie, der Kulturanthropologie und Übungen in Zenmeditation, Quigong. Die damit angedeutete Wende im Leben der Künstlerin hatte einen Höhepunkt in der Begegnung mit dem japanischen Künstler und Kalligraphiemeister Kazuaki Tanahashi (KAZ) im Meditationszentrum Johanneshof. In einem Workshop vermittelte er ihr Erfahrungen mit dem Malen kalligraphischer Zeichen mit schwarzer Tusche und großem Pinsel.
Das Malen mit schwarzer Farbe in der westlichen Kunst war für Ingelberga Scheffel nichts Unbekanntes: Pierre Soulages, Antoni Tapiès, Ad Reinhardt oder Franz Kline gehörten seit den sechziger Jahren zu den namhaften Avantgardisten abstrakter Malerei. Zugleich hatte sie sich mit chinesischer Kunsttradition, mit Kalligraphie und japanischen Künstlern beschäftigt, von denen einzelne im Westen ausgestellt hatten.
Aber die Aufforderung Tanahashis, mit einen großen Pinsel auf Reis-Papier mit schwarzer Tusche zu malen, führte zu neuen Erfahrungen. Solcher Prozess beginnt mit der Wahl des Papiers und dem kalligraphischen Zeichen als Vorlage, seiner intensiven Betrachtung, wobei Reihenfolge der Teile, sinnvoller Bewegungsablauf und Orte auf dem Papier, wo die Zugrichtung der Pinselführung geändert werden muss, eingeprägt werden; denn der Pinselzug soll ohne Absetzen erfolgen. Dafür muss das Gefühl entwickelt werden, den Pinsel maßgerecht mit schwarzer Tusche zu füllen. Danach ist er senkrecht zu halten und sachte dem Papier entgegen zu führen: Zu viel oder zu wenig Druck lässt schon beim Aufsetzen die angestrebte Linie entgleiten; es bedarf jahrzehntelanger Übung, das Maß für Tuschmenge, Aufsetzen des Pinsels und seiner Führung zu finden. Wird der Wesenskern der Kalligraphie nahezu erreicht, empfindet die Künstlerin tiefe Freude.
Während des workshops waren die ersten Bewegungen auf dem Papier noch ungelenk und entsprachen nicht der Erwartung der Künstlerin; die Ergebnisse wurden weggeworfen. Doch gegen den Willen des Lehrenden, der sie diese Blätter zurückholen und ausbreiten ließ. Sie demonstrierten den Lernprozess, die Schritte zur Konzentration, die im Malakt zum Ziel, zur gelungenen Wiedergabe des Zeichens führen.
So einfach das Nachmalen einer Kalligraphie erscheint, so schwierig ist es, denn es muss das Gefühl für Pinsel und Papier wachsen; selbst der Abstand vom Papier kann bei vollem Pinsel zum Problem werden.
Traditionell fertigen japanische Künstler zunächst eine Skizze an, nach der dann das Bild möglichst in einem Zug ausgeführt wird. Ingelberga Scheffel ist dem lange gefolgt; doch mit zunehmender Erfahrung konnte sie es wagen, auf die Skizze zu verzichten. Die Konzentration auf den Malakt ist das Ergebnis langer Übung und verlangt ein Ausblenden der Außenwelt zugunsten innerer Ruhe bei der künstlerischen Aktion.
Die eigentliche Kraft solcher Bilder liegt in der Farbe Schwarz und der Leerform. Es ist die Farbe der Abstraktion und zugleich der Konzentration. “Schwarz ist meine Farbe – mit ihr finde ich meinen Ausdruck. Schwarz zwingt mich zur Entscheidung, zur Verantwortung. Schwarz reduziert mich auf das Wesentliche.” Das sind Notizen der Künstlerin, die die Kraft dieser Farbe, wenn sie dicht aufgetragen die Fläche beherrscht, andeuten. Und auch die beiden Sätze “Schwarz gibt Gedankenfreiheit” und “Schwarz fordert die Imagination heraus” sind nachvollziehbar, denn Abstraktion kennt keine Grenzen, sie öffnet sich immer neuen Überlegungen und Deutungen. Andere Farben wie Blau, Grün, Rot oder Gelb in all ihren Differenzierungen wecken Erinnerungen an Momente oder Motive in der Natur und sind damit gebunden an unsere inneren Bilder. Schon ein roter Punkt ist etwas anderes als ein schwarzer Punkt.
Die Kalligraphie steht am Anfang des künstlerischen Lernprozesses, weil ihre Zeichen auch schon Abstraktionen von Bildern (Piktogramme) sind. Mit zunehmender Sicherheit öffnen sich der Künstlerin Welt und Natur; sie empfängt Anregungen von überall her, aus der historischen Kunst Chinas und Japans wie aus der Natur: “Die Natur ist mein Lehrmeister”, sagt Ingelberga Scheffel. “Zeichnen vor der Natur gehört zur Übung. Ich konzentriere mich auf einen Teil, der für das Ganze steht.”
Ingelberga Scheffel ist dieser Freiheit gefolgt und hat sich auch von alten Bildern der ostasiatischen Kunst anregen lassen. Die Beschränkung auf Schwarz und die Pinselführung reduzieren das Potential der Anregung auf ein Detail und sind optisch nicht mehr als der Kamm einer Welle und dennoch ein Geistesblitz asiatischer Kunst.
Was der schwere, mit beiden Händen zu führende Pinsel, der schwarz getränkt ist, vollzieht, wird gefiltert durch Geist und Bewegung, rückt im Arbeitsgang immer weiter von Vorlagen ab und gelangt zu einem selbstständigen Ausdruck, mit dem die Malerin sich identifiziert. Das Schwarz führt nicht nur zur Abstraktion, sondern verschafft der Arbeit auch einen eigenen unnachahmlichen Ausdruck des Einsseins von inhaltlicher Offenheit, ästhetischem Ergebnis und subjektiver Identität.
Zu den ursprünglichen Prinzipien dieser traditionellen Art des Malens gehört, dass der Pinsel während des Pinselzugs nicht abgesetzt, der Pinselzug nicht unterbrochen wird und dass Tropfen und Spritzer natürlich sind. Dem gestischen Prozess wird Bedeutung zugemessen.
Aber Ingelberga Scheffel wäre keine europäische Künstlerin, wenn sie nicht zuweilen mit Absicht gegen die Linie der Überlieferung verstoßen will. Erproben, was geht, was passiert, wenn der Tradition nach Unerwünschtes auf die Leinwand oder das Papier gerät. Das sieht die Künstlerin nicht nur als Alternative, sondern vor allem als Herausforderung, als Offenheit, nicht als Widerspruch, auch als Spiel, das zu neuer subjektiver Erfahrung führen kann.
Jürgen Weichardt