Naturlandschaften
von Helmut Feldmann
Oldenburg. Das Sozialgericht Oldenburg und die Arbeitsgemeinschaft Kunst (AG Kunst) in der Oldenburgischen Landschaft zeigen im Elisabeth-Anna-Palais in Oldenburg “Naturlandschaften”, eine Ausstellung mit Grafik und Fotografie von Helmut Feldmann, Oldenburg. Ausstellungseröffnung ist am Dienstag, den 27. September, 17 Uhr. Die Ausstellung dauert bis zum 10. Januar 2023 und ist geöffnet von Montag bis Donnerstag 9-15 Uhr und freitags von 9-12 Uhr.
Der Künstler wurde 1964 in Deternerlehe, Ostfriesland, geboren. Er studierte Kunst in Groningen an der Kunstakademie Minerva. Thema der Ausstellung ist die Natur. Feldmanns Arbeiten umkreisen vor allem zwei Themen: Einmal Naturlandschaften, scheinbar menschenleere weite Landschaftsräume, geprägt von Wolken, Nebel, Schnee, zum anderen Naturschäden, belegt mit Fotografien von Hinterlassenschaften, die der Mensch nach seinem Aufenthalt im Grünen zurückgelassen hat.
Zur Ausstellungseröffnung sprechen Wulf Sonnemann, Direktor des Sozialgerichts, und Jürgen Weichardt, Leiter der AG Kunst.
Helmut Feldmann - Naturlandschaften
Was Helmut Feldmann gemalt hat, ist als Realität und im Nordwesten gar nicht so selten. Darum nennt er seine Motive “Naturlandschaften”, damit andeutend, dass sie seit Jahrtausenden so existiert haben.
Aber es geht dem Künstler nur am Rande um die Erinnerung an eine Landschaft, in der sich der Mensch noch nicht niedergelassen, die er noch nicht kultiviert hat. Es geht ihm um Malerei, um den Umgang mit Farben, um die Feinheiten der Differenzierung von Farbtönen und das Sichtbarmachen sensibler Schattierungen.
Der Künstler gebraucht für seine Malerei Kupferdruckfarbe, also eine Substanz, die zum Drucken vorgesehen ist. Aber offensichtlich kann sie auch zum Malen verwendet werden. Helmut Feldmann malt allerdings überwiegend auf Siebdruck-Karton, nicht auf Leinwand, was die Reaktion der Kupferdruckfarbe beeinflusst. Wenn sie entsprechend dünn aufgetragen wird, bleibt die bemalte Fläche so glatt wie der Karton, bei Leinwand würde sich die Struktur vordrängeln und den Eindruck von der Tiefe des Raumes stören. Helmut Feldmann aber will die reine Tiefe wie in der Natur.
Dort sehen wir allerdings Gräser, Korn, Büsche, Bäume, die in den Bildern von Helmut Feldmann kaum auszumachen sind, weil der vordere Raum der Komposition so weit vom Standpunkt der Bildbetrachter abgerückt ist, dass Gegenstände nicht mehr wahrgenommen werden können. Vielleicht haben in der farbigen Dichte einzelne Pinselzüge zu einer Form zusammengefunden; es kann auch sein, dass der Künstler bewusst eine Baumform in die Fernsicht und in angemessener Größe eingebracht hat; doch ist diese Sicht so dicht, dass Einzelheiten in der Farbigkeit untergehen.
Folglich ist das, was in den Bildern passiert, einerseits optisch so minimal, dass es viel Fantasie bedarf, es zu realisieren. Andererseits sind die großen Kräfte der Natur so frei und ungestört, dass sie die Komposition beherrschen. Zum Beispiel das Licht:
In dem Bild der Einladung wird das Licht durch Wolken gedämpft; ist aber noch stark genug, die Wiesen zu erhellen und Schatten zu erzeugen und damit auf sich aufmerksam zu machen, wie die leicht dunkleren Flecken andeuten.
Licht wird aber auch im Wolkenspiel aktiv, wenn es durch Wolkenlöcher oder dünnere Partien des Wolkenvorgangs hindurch scheint und andere Teile der Wolken erhellt. In einem Bild wird diese Wolkenbewegung richtig dramatisch aufgebauscht und die Komposition nimmt romantische Züge an, die durch den flachen Landstreifen dann wieder beruhigt werden, der die Heftigkeit der Bewegung nicht mitmacht.
Ein anderes Wortpaar, das der Beschreibung einiger Bilder dienen könnte, ist Ruhe und Bewegung: Ruhe ist durchweg für die Motive der Landschaft angebracht, obwohl wir wissen, dass der Luftstrom Bewegung verursacht, was wir als Wind oder Sturm merken können. Aber im Größenverhältnis sind beide scheinbar wirkungslos. Und ebenso alle rasanten Bewegungen, die Menschen verursacht haben – dank der Größenordnung bleiben sie unauffällig. Anders der Himmel mit seinem Wolkenspiel, das offenbar einen viel größeren Raum beansprucht und folglich sichtbar und Bild bestimmend wirkt.
Ein drittes Element ist die Stimmung, die von jeder Komposition ausgelöst wird. Auf den ersten Blick scheinen die meisten Kompositionen gar keine Stimmung auszustrahlen, der Horizont ist eine harte Gerade zwischen braunem Land und hellem Himmel. Oder umgekehrt. Doch wenn man sich auf die Betrachtung einlässt, wird die Frage nach dem Wetter, das der einzelnen Komposition entspricht, geweckt, und schon erwacht eine Stimmung, die von der Farbigkeit der Erde oder des Himmels oder von beiden gemeinsam getragen wird. Allerdings – Stimmungen sind äußert subjektive emotionale Empfindungen, die zu nennen die unvoreingenommene Bildbetrachtung belasten würde.
Schließlich das Wortspiel Naturlandschaft – Kulturlandschaft: Es ist etwas, das wir leicht fehleinschätzen: Die Kulturlandschaft, die in dieser Ausstellung nur indirekt vorkommt, etwa durch die Malerei selbst, ist die kleinere Partie von beiden und keineswegs dazu bestimmt, die Rolle der Naturlandschaft zu übernehmen, zumal der wesentliche Anteil des Himmels an der Naturlandschaft von der Kultur nicht beherrschbar ist. Aber auch auf der Erde ist der kleine Anteil, den wir Kulturlandschaft nennen könnten, kaum zu sichern. Helmut Feldmann hat in seiner Fotoserie darge-stellt, was aus der Naturlandschaft wird, wenn die Kultur danach greift: Unter Kultur verstehe ich dabei schlicht Menschenwerk.
Im Unterschied zur Malerei sind die Fotografien Nahaufnahmen, nicht zuletzt, um das uns allen bewusste Problem der Naturlandschaftszerstörung durch Abfall noch einmal deutlich vor Augen zu führen. Die Aufnahmen zeigen das saftige Grün, das wir uns wünschen, wenn wir ins Grüne fahren wollen. Um so stärker wirken die Hinterlassenschaften jener, die vorher dort waren und ihren Abfall nicht richtig entsorgt haben. Glätte und Sauberkeit der Fotografien steigern den Eindruck der Rücksichtslosigkeit, die hier fotografisch dokumentiert worden ist.
Die beiden Arbeitsgruppen sind von grundsätzlicher Unterschiedlichkeit – hier Nahsicht, Gegenwart, in der der Mensch ein Bild von sich produziert, indem er das Grün missbraucht. Dort eine menschenleere Landschaft, Fernsicht, wo der Mensch, wenn er in der Vorstellung überhaupt dabei ist, in den Flächen und Formen der irdischen Landschaft verschwindet wie übrigens auch alle anderen Lebewesen. Auch am Himmel gibt es keine Geräte, Segler, Flieger – das Bild einer Utopie, die vielleicht einen Namen hat: Posthumanismus, die Zeit nach dem Menschen. Diese philosophische Richtung gibt es bereits, sie hat nach meinen Informationen die aktuelle Biennale in Venedig mitgeprägt. Der Mensch wird von seinem Thron gestoßen, die Philosophen dieser Auffassung meinen, angesichts der diesjährigen und sich wiederholenden Katastrophen habe er versagt. Der Mensch könne höchstens einen Rang gleichwertig mit dem der Tiere und Pflanzen erhalten. “Im Staub des Planeten” heißt ein Buch des amerikanischen Philosophen Eugene Thacker, in dem es um eine “Welt ohne uns” geht, um eine Art nebulöser Zone – ich zitiere: “Und schon der Titel lässt erahnen, welche Stellung er dem Menschen in der neuen Architektur der Arten einräumt – gerade nicht auf den Höhenkämmen des Geistes, oben in den luftigen Sphären, sondern unten am Boden, wo es schmutzig und heiß ist und die Stimmung ziemlich unheimlich sein kann”. (Peter Neumann in der Zeit, Feuilleton Nr.34, 18.8.22, S.45)
Und das war fast schon eine Beschreibung der Bilder von Helmut Feldmann.
Jürgen Weichardt