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Stanislaw Baj im Elisabeth-Anna-Palais

Diese Ausstellung hat eine kleine Vorgeschichte, die zeigt, wie klein die Welt ist. Zwischen 1995 und 1999 wurde ich zusammen mit Eugenia Gortchakova zu einem Symposion geladen, das in Okuninka stattfand, einige 50 km südlich von Brest am Bug. Künstlerinnen und Künstler konstruktivistischer Richtung trafen sich zu einem mehrtägigen Workshop, Eugenia passte in den Kreis, ich war der Fahrer.

Getragen wurde das Symposion vom Museum Chelm und speziell von Frau Jagoda Barczynska. Im Laufe dieser Begegnungen kam mir der Gedanke, dem Museum eine kleine Auswahl von Bildern, Grafiken aus meiner Sammlung zu stiften, was auch akzeptiert wurde – westeuropäische, deutsche zeitgenössische Kunst war damals noch interessant. Die Auswahl wurde in Warschau und dann im Museum Chelm gezeigt.

25 Jahre vergingen, da erzählte mir Herr Klimmeck, er sei in Chelm gewesen wegen einiger Volkskünstler, und hätte Jagoda Barczynska getroffen, von sich erzählt, und Oldenburg sei das Schlüsselwort gewesen, durch das dann auch mein Name fiel. Sie konnte sich erinnern. Herr Klimmeck hatte die Idee, Stanislaw Baj hier vorzustellen, und fragte nach seiner Rückkehr, ob das im Elisabeth Anna-Palais möglich sei. Stanislav Baj wurde auch vom Museum Chelm vertreten, und plötzlich hatte Herr Klimmeck eine alte Verbindung nach 25 Jahren wieder geweckt.

Nun muss dazu gesagt werden, dass polnische Kunst in Oldenburg nichts Ungewöhnliches ist. Schon vor 50 Jahren gab es eine Pol Art-Galerie, vor 40 Jahren in der Nähe Oldenburgs die Galerie von Leo Klosa, die nahezu ausschließlich polnische Kunst ausgestellt hat und im Stadtmuseum wie im Kunstverein mit Sammlungen aufgetreten war.

Nun zu unserem Gast, Professor Stanislaw Baj, geboren in Dolhobrody, das 20 km von dem erwähnten Ort Okuninka liegt, auch an dem Fluß, der hier heute optisch im Mittelpunkt steht, am Bug. Stanislaw Baj hat dort heute noch einen Wohnsitz, auch wenn er in Warschau an der Akademie lehrt, wo er zuvor studiert hatte, unter anderem bei der Professorin Halina Chrostowska, die ich in den achtziger Jahren auch einmal getroffen habe. Und einige Grafiken von ihr wurden sowohl von Klosa als auch vom Kunstverein ausgestellt.

Stanislaw Bajs Atelier steht also in Dolhobrody, es sehe äußerlich wie eine alte Scheune aus, ist aber neu gebaut und innen zu einem modernen Atelier ausgestattet, beschreibt Jagoda Barczynska das Atelier – also auch verwachsen mit der historischen Landschaft, zugleich für gegenwärtige Arbeitsweisen nutzbar.

Das zentrale Thema des Künstlers ist der Fluss Bug. Dieser Fluss ist einer der Nervenstränge in Europa wie der Rhein oder die Donau – längst nicht so lang und breit, aber doch wegen seiner Funktion seit genau 100 Jahren als Grenzfluss ein Politikum. Grenzflüsse haben in der Vergangenheit immer wieder bei Regierenden den Wunsch geweckt, beide Ufer in einer Hand zu haben, was dann zu unseligen Kriegen geführt hat. Der Bug hat da seine eigene Geschichte im 20. Jahrhundert und ist auch heute wieder Grenze - zwischen der EU und den russischen Republiken.

Stanislaw Baj stellt jedoch nicht diese historisch-aktuelle Frage in den Mittelpunkt seiner Malerei, sondern die Frage nach dem Wesen dieses Flusses: Was charakterisiert ihn und - meditativer empfunden - wie atmet er, wie wechseln Stimmung und Atmosphäre bei Tag und Nacht? Im Sommer und im Winter? Stanislaw Baj sucht den mystischen Kern seines sanften Treibens, nicht zuletzt dann, wenn das Auge nicht von Büschen und Bäumen am Ufer, von Ziegen, Schafen und Rindern auf den Weiden abgelenkt wird, sondern nachts, wenn Hören des Fließens und Fühlen der Luft die Atmosphäre am Wasser bestimmen. Manchmal wirft ein Baum einen Schatten, wenn ein Licht eine Stelle markiert, manchmal ist es ein Busch, aber die sehen wir nur, weil wir uns denken können, dass sie am Ufer stehen.

Diese Empfindsamkeit für das Nicht-Sichtbare als das Wesen des Flusses unterscheidet Stanislav Baj grundlegend von allen anderen Landschaftsmalern, von denen wir an unseren Bächen auch viele haben, die sich nicht satt malen können beim Aufzählen von Bäumen und Sträuchern, Pferden und Kühen.

Stanislav Baj hat sich nicht auf die Nacht beschränkt. Einige Bilder sind voller grauer, blauer oder grünlicher Töne, Stimmungen mit dem Licht im Tagesverlauf, Übergänge, Morgen-und Abenddämmerung oder Nebel, unvermeidlicher Wasserschleier, der dem Fluss seine Geheimnisse belässt.

Es ist unvermeidlich, an dieser Stelle auch darauf hinzuweisen, dass die Monochromie, der sich Stanislav Baj nur annähert, mit ihren ganz sanften Störungen europäisches Kulturgut ist, begonnen von William Turner an der Themse, zugespitzt von Kasimir Malevich, 50 Jahre später von Yves Klein und der Gruppe ZERO und von manchem anderen fortgesetzt, aber seit Turner nie wieder mit einem Naturmotiv in Verbindung gebracht. Das ist hier das Alleinstellungsmerkmal von Stanislaw Baj. Sein Werk schlägt den Bogen ins frühe 19. Jahrhundert und bleibt dennoch zeitgenössische Malerei.

Sein zweites Thema ist der Kopf des Menschen, voran der Mutter. Stanislav Baj wählt auch dafür vorzugsweise den schwarzen, manchmal auch den weißen Hintergrund, aber keinen irgendwie gekennzeichneten Raum – der Kopf ist isoliert, zuweilen sogar vom Körper getrennt. Solche Kompositionsweise finden wir auf alten Erinnerungsplaketten und Medaillen, während heute die Zeitgenossen den Menschen in seinem Ambiente zu malen bevorzugen, möglichst als jugendlichen Helden oder heitere Gartenfee. Die Gesichter malt Stanislaw Baj mit kräftigen farbigen Pinselstrichen, zuweilen versehen mit kleinen Farbakzenten, die dem Ausdruck des Gesichtes dienen.

Der Titel “Mutter” verleitet uns, in den Köpfen nur alte Menschen zu sehen, eine Galerie des Alterns. Aber wirft er damit nicht eine Zeitfrage auf? Erinnert der Künstler nicht daran, dass wir alle, wenn wir Glück haben, älter werden, und dass das Leben dabei seine Spuren hinterlässt – gerade bei Menschen in der Armut am Bug, die wettergehärtet selbst der Anti-Age-Creme widerstehen können.

Da Stanislav Baj mehrere Porträts seiner Mutter ausstellt, können wir nicht nur die Spuren des Alterns sehen, und damit ein Gefühl für Zeit auch in diesen Bildern entwickeln, wir können auch die kleinen Schritte in der Entwicklung des Malers sehen. Mir scheint, als ob das Malen der Mutter etwas zurückhaltender ist als bei den Nachbarn, etwas strenger, etwas präziser, was nicht als Wertung verstanden werden darf, sondern als eine Differenzierung der Expression, die er bei den Mutterbildern etwas zurücknimmt zu Gunsten einer stärkeren Verinnerlichung.

Die Zeichnungen und Linolschnitte schließlich stehen in Verbindung zu diesem Thema, sie zeigen den Tod. Nicht von einem Menschen, sondern von Tieren. Für den toten Menschen gibt es in der Kunstgeschichte seit der Antike unzählige Darstellungen, für den Tier- Tod am Straßenrand haben nur wenige Künstler den Zeichenstift in die Hand genommen, man findet Abbildungen selten in Ausstellungen, denn der Tod wird gewöhnlich verdrängt. Stanislav Baj zeichnet ihn mit harten Strichen, die sich um genaue Linien versammeln. Zuweilen scheinen sich die Körper noch bewegen zu können, scheinen die Köpfe sich zu erheben, Stanislav Baj trifft dann den letzten Augenblick.

Jürgen Weichardt


Das Team   Bildrechte: Oldenburgische Landschaft
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